Größer als zwei Fußballfelder ist die Lagerhalle des Kosmetikherstellers Babor nahe der A 44 bei Aachen. Ob Packmittel und Werbeartikel für die interne Konfektionierung oder fertige Produkte für den Kunden – alles muss für die Auslieferung bereitgestellt werden. Mit Schmalgangstaplern fahren die Mitarbeiter von Regal zu Regal und arbeiten die Auftragseingänge ab. Seit zwei Jahren geht alles schneller, weil das Unternehmen seine Lagerarbeiter mit innovativen Datenbrillen ausgestattet hat. Seitdem sorgt eine Software dafür, dass die Wege der Mitarbeiter durch das Lager optimiert werden.

Visionäres Arbeiten
 

Wo früher ein klobiger Handheld dem Mitarbeiter die benötigten Informationen anzeigte, überträgt heute die 43 Gramm leichte Datenbrille alle nötigen Daten per WLAN auf ein kleines Display im rechten oberen Blickfeld. So etwa die Art und Menge der Ware, die als nächste aus den Regalen geholt werden muss. Ein integrierter Barcodescanner erkennt den richtigen Stellplatz. Ist der anvisierte Artikel korrekt, wird für seinen Transport automatisch ein Etikett in der Fahrerkabine des Staplers ausgedruckt. Die Datenbrille zeigt dann die Ablagestelle für den Versand der Produkte an. Das Ergebnis dieser Maßnahme kann sich sehen lassen: »Schon in der Testphase konnte eine belastbare Zeitersparnis von 18 Prozent erreicht werden. Inzwischen sind die Quoten noch besser«, sagt Babor-Geschäftsführer Horst Robertz.

Die Picavi-Datenbrille ist nur eine von vielen Innovationen aus Nordrhein-Westfalen, die den Standort international erfolgreich machen. 18 der 50 umsatzstärksten deutschen Unternehmen haben ihren Sitz zwischen Rhein und Ruhr. Neben Großunternehmen wie Bayer, Bertelsmann, E.ON, Metro, RWE oder Thyssen Krupp finden sich hier Dutzende kleinerer Unternehmen von Weltrang.

Den Forschergeist beschwören
 

Um international wettbewerbsfähige Produkte zu entwickeln, braucht es vor allem eines: Forschergeist. Dafür sind 70 Hochschulen mit rund 745.000 Studenten zuständig. Und neben ihnen mehr als 60 Technologiezentren und 50 hochschulexterne Einrichtungen. Sie zusammen bilden ein dichtes Netzwerk. Dazu zählen beispielsweise das Forschungszentrum Jülich, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie eine Vielzahl von Fraunhofer- und Max-Planck-Instituten. An der Kölner Universität hat der Forscher Roman Thomas eine Technologie entwickelt, die für die Behandlung von Krebs von immenser Bedeutung ist. Allein in Deutschland erkranken pro Jahr 500.000 Menschen an Krebs. Der Trend geht hin zu personalisierten Therapieempfehlungen, weil sie die Lebenserwartung der Erkrankten verbessern. Dafür muss das Tumor-Genom analysiert werden – der Lösungsansatz der 2012 an der Uni Köln gegründete NEO New Oncology. Vorstand Andreas Jenne, der mit Axel Ullrich und Roman Thomas zum Gründungsteam gehört, erklärt: »Unser Fokus liegt auf der Diagnostik. Wir wollen helfen, für jeden Patienten das bestmögliche Medikament auszuwählen. Dafür analysieren wir die Krebs-DNA aus einer Gewebeprobe des Patienten. So können wir Erbgutschäden erkennen und das optimale Medikament empfehlen.« 

Quotation mark

»Um die weltweit erste marktreife Lösung fertigzustellen, war einiges an Entwicklungsarbeit nötig.« Dirk Franke, Geschäftsführer der Picavi GmbH

Auf den Weg gebracht
 

Die Finanzierung neuer Ideen ist eine entscheidende Säule für den späteren Erfolg. Unterstützt wurde die junge Firma von der NRW.Bank (siehe auch Interview links). Florian Stinauer, dort zuständig für Frühphasenfinanzierungen, war von der Idee überzeugt: »Wir sehen in personalisierten Therapieempfehlungen den zukünftigen Standard der Krebsmedizin.«

Wie innovative Unternehmen sich stets neu erfinden, zeigt die Firma Tobit. 1987 gegründet, hält sich das 250 Mann starke Unternehmen mit Sitz in Ahaus seit mehr als 15 Jahren an der europäischen Softwarespitze. »Unser Flaggschiff heißt ›David‹. Die Software bündelt alle Prozesse im Unternehmen. Das beschränkt sich nicht nur auf E-Mails, Faxe, SMS, Sprachnachrichten oder Aufgaben und Termine, sondern geht bis hin zur Haustechnik«, so Vorstand Klaus Kemper. Längst hat das Unternehmen neue Anwendungsgebiete erschlossen. Ein Beispiel dafür: »chayns« – eine Software, mit der Unternehmen aus ihrer Facebook-Seite eine lebendige Smartphone-App machen können. Kostenfrei! Was kaum jemand weiß: Heute spielt Tobit-Software als Mittelständler in einer Liga mit den Goliaths der Branche wie Microsoft oder Apple.

Ob Datenbrille, individuelle Krebstherapie oder Softwarelösungen: Hat sich der Erfolg hierzulande eingestellt, strecken die Entrepreneure nicht selten die Fühler über die Landesgrenzen hinweg aus. Der Erfolg der Datenbrille jedenfalls beflügelt das knapp 20-köpfige Entwicklerteam von Picavi: »Wir werden sehr schnell auch international tätig sein«, ist sich Vorstand Dirk Franke sicher.
 

3 Fragen an …

... Eckhard Forst Vorstandsvorsitzender der NRW.BANK
 

Herr Forst, was ist wichtig, damit Sie Produkte fördern, die noch in der Entwicklung sind?

Voraussetzung für eine Förderung ist, dass das Vorhaben grundsätzlich einen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg erwarten lässt und die Gesamtfinanzierung gesichert ist. Das Unternehmen muss außerdem wirtschaftlich solide aufgestellt sein. Ein höherer Anteil an eigenen Mitteln erleichtert die mögliche Finanzierung.

Lohnt sich Förderung für den Mittelstand?

Ja, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Kleine und mittlere Unternehmen profitieren nicht nur von günstigen Zinssätzen und langen Laufzeiten, sondern auch von individuellen Beratungsangeboten. Einen wichtigen Beitrag leisten hier die Kammern oder Wirtschaftsverbände. Als Partner des Mittelstands beraten die Förderberater der NRW.BANK mittelständische Unternehmen auch vor Ort.

Was empfehlen Sie Unternehmen, um international erfolgreich zu sein?

Unternehmen sind gut beraten, ihre Internationalisierung strategisch gründlich vorzubereiten und die Finanzierung zu sichern. Als Partner im Konsortium NRW. Europa unterstützen wir sie konkret beim Zugang zu öffentlichen und EU-Förderinstrumenten – auch im Zielland ihrer Auslandsaktivitäten. Oftmals ist es ratsam, dass Unternehmen den neuen Markt mit einem Vertriebspartner vor Ort bearbeiten, der über entsprechende Netzwerke und Marktkenntnisse verfügt.

Herr Forst, vielen Dank für das kurze Interview!
 

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