Auf eines ist Sebastian Nielsen besonders stolz: dass sie jetzt eine eigene Haltestelle haben. Jede Stunde ein Zug, Haltestelle »Schnitzmühle«, Bayerischer Wald. Der 43-Jährige zählt auf, was es alles gibt in seinem Feriendorf: ein modernes Hotel, thailändisch-bayerische Küche, einen Wellnessbereich, Sportangebote, einen Campingplatz, und vor dem Haus plätschert ein Bach. Im Jahr 2000 haben sein Bruder Kristian und er den ehemaligen Landgasthof mit Campingplatz seiner Großeltern und Eltern zu einem »Adventure Camp« umgebaut. Im ersten Jahr machten sie 500.000 Euro Umsatz, jetzt ist es fast sechsmal so viel.

Die beiden Brüder gehören zu den 560.000 Menschen in Bayern, die vom Tourismus leben. Und ihr Geschäft läuft immer besser: 35,4 Millionen Menschen besuchten im vergangenen Jahr den Freistaat, das sind 1,2 Millionen mehr als im Vorjahr, und so viele wie nirgendwo sonst in Deutschland. Für Bayern wieder einmal ein Rekord. Das heißt aber nicht, dass alle Regionen gleichermaßen profitieren. Denn es gibt eine Region, die am beliebtesten ist: Oberbayern. 16 Millionen Touristen besuchten 2016 die Region um München und die Alpen, danach folgten Franken und Niederbayern. Nur je fünf Millionen Besucher reisten nach Schwaben oder nach Ostbayern. Ostbayern ist die Gegend, wo die Schnitzmühle steht. Bayerischer Wald, tschechische Grenze, außer Wald gibt es dort nicht viel. Und bis vor einigen Jahren interessierte sich auch für den kaum jemand. »Der Bayerische Wald war nach dem Zweiten Weltkrieg sehr beliebt, besonders bei West-Berlinern«, erzählt Sebastian Nielsen. Bald aber reisten die Deutschen nach Italien, nach Spanien, Urlaub im Bayerischen Wald war out, etwas für Rentner. Durch die Outdoor-Bewegung in den Neunzigerjahren seien die deutschen Wälder wieder interessanter geworden. »Wir haben da die Chance gesehen, auch das Image des Bayerischen Waldes zu verbessern.«

»Touristen sind wie Schmetterlinge, sie flattern von Blume zu Blume. Als Unternehmen muss man eine attraktive Blume sein«, sagt Nielsen. Sie bauen den Gasthof in eine moderne Ferienanlage um: Hotel, Spa- und Sportangebote, ein Restaurant mit Produkten aus der Region, Meetingräume, aber auch der Camping-Platz bleibt. »Wir sprechen keine bestimmte Zielgruppe an, sondern Stilgruppen.« Vom Hipster bis zur Oma, sagt Nielsen, für jeden und für jede Preisklasse. 

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» Touristen sind wie Schmetterlinge, sie flattern von Blume zu Blume. Als Unternehmen muss man eine eine attraktive Blume sein. « Sebastian Nielsen, einer der Geschäftsführer vom Adventure Camp Schnitzmühle

Nielsen, der wie sein Bruder viel in der Welt herumgereist ist, – Peru, Südafrika, Australien –, findet, dass man überall Urlaub machen kann, auch in der Heimat. Es freut ihn natürlich, dass mehr Menschen auch wieder seine Region besuchen.
 

Eine bayerische Idee expandiert

Den Bayerischen Wald attraktiver machen wollte auch Christian Kappenberger, der Gründer der Erlebnis Akademie AG aus Bad Kötzting. 2001 eröffnet der Sportpädagoge in Lam den ersten Hochseilpark – ein Angebot für Erwachsene, vor allem für Firmen. Acht Jahre später folgt der erste Baumwipfelpfad, eine Art Turm aus Holz, in dem sich ein Weg bis hoch an die Spitze in 40 Meter Höhe windet. »Damit haben wir die Zielgruppe verändert. Kinder, Familien, aber auch ältere Leute besuchen die Baumwipfelpfade«, sagt Christian Kremer, Sprecher des Unternehmens. »Sie sind barrierefrei und für alle zugänglich. An verschiedenen Stellen gibt es Infotafeln und interaktive Lernangebote zum Thema Natur.«

Mittlerweile hat die Erlebnis Akademie zwei neue Geschäftsführer, ist seit zwei Jahren an der Börse und betreibt vier Baumwipfelpfade in Deutschland und einen in Tschechien. In ein paar Monaten eröffnet im tschechischen Riesengebirge der zweite Pfad. Es seien noch weitere Anlagen geplant, sagt Kremer. In Spanien, auf Usedom, in Lettland und in der Slowakei.

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» Damit haben wir die Zielgruppe verändert. Kinder, Familien, aber auch ältere Leute besuchen die Baumwipfelpfade. « Christian Kremer, Sprecher der Erlebnis Akademie AG


Alternativen mit Anziehungskraft

Aber auch in anderen Regionen Bayerns versucht man sich mit neuen Tourismuskonzepten. In den Alpenregionen beispielsweise investieren Hotelbetreiber in Wellness- und Wanderangebote, weil der Schnee im Winter immer häufiger ausbleibt. Im Allgäu gibt es eine vegetarische Berghütte. Immer beliebter sind bei Touristen auch die bayerischen Heilbäder und Kurorte – sie kamen 2016 auf 23,5 Millionen Übernachtungen, fast ein Viertel aller Übernachtungen in Bayern. Ungebrochen aber bleibt die Anziehungskraft von Schloss Neuschwanstein, die einstige Residenz von König Ludwig II.: 1,4 Millionen Besucher zog das Märchenschloss im vergangenen Jahr an.

Verändert hat sich bei all dem, dass Urlauber sich immer öfter vorab schon über den Reiseort oder das Hotel informieren wollen, Vergleichsportale im Internet nutzen oder sich Tipps über soziale Netzwerke holen. Die Digitalisierung prägt auch die Tourismusbranche. Bei »Bayern Tourismus Marketing«, der Vermarktungsgesellschaft der bayerischen Tourismus- und Freizeitwirtschaft, sieht man darin eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance: die Ansprüche der Reisenden werden komplexer, gleichzeitig kann man gezielter auf sie eingehen.

Das haben auch die Nielsen-Brüder erkannt. Sie nutzen soziale Netzwerke wie Facebook, um Bilder von gemeinsamen Veranstaltungen zu posten und um auf bevorstehende Events aufmerksam zu machen. »So bleiben wir mit den Leuten in Kontakt«, sagt Nielsen. Das sei wie mit Freunden – nur wenn man den Kontakt halte, bleibe man auch befreundet.

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