Das erste Patentgesetz der Geschichte erließ die Stadt Venedig. 1474 sicherte es einer griechischen Kolonie an der Ostküste Kalabriens die Rechte an Kochrezepten. Ein Jahr lang durften diese von niemandem nachgeahmt werden. 

Ob Rezepturen, Maschinen oder ein bestimmtes Design – Innovationen sind geistiges Eigentum, „Intellectual Property „ (IP), und müssen geschützt werden. Unternehmen, die allzu sorglos damit umgehen, werden schnell feststellen, dass Wettbewerber ihren Nutzen daraus ziehen wollen.

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„Jedes kleine und mittlere Unternehmen hat seinen Namen, den es schützen lassen muss, hinzu kommen Produkte und Innovationen.“ Felix Addor, Direktor des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum, Bern

Jedes Unternehmen braucht eine IP-Strategie. Doch gerade kleinere halten den Schutz der eigenen Kreativität und Einfälle für überflüssig, beschäftigen sich einfach nicht damit oder scheuen den Aufwand. „Jedes kleine und mittlere Unternehmen hat seinen Namen, den es schützen lassen muss, hinzu kommen Produkte und Innovationen“, sagt Felix Addor, Direktor des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum. Man solle alle Fragen klären, die sich in Zusammenhang mit dem Design- und Urheberrecht ergeben. „Sonst ist es irgendwann zu spät und ein Schutz nicht mehr möglich“, sagt Addor. 

Ein Grund, warum gerade kleinere Unternehmen ihre Erfindungen oft nur unzureichend vor der Konkurrenz schützen, sind schlicht die Kosten, die damit verbunden sind. Im Vergleich zu großen Unternehmen ist es für sie unverhältnismäßig teurer, die Patente schützen zu lassen. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat ermittelt: Ein Unternehmen mit 10 Mitarbeitern und einer Million Euro Umsatz muss für ein internationales Schutzrecht rund 10 Prozent vom Umsatz berappen. Ein Unternehmen mit 250 Mitarbeitern hingegen zahlt für das gleiche Schutzrecht nur 4 Prozent seines Umsatzes. 

IP-Strategie als Erfolgsfaktor

Auch wenn der Schutz viel Geld kostet – er lohnt sich! Helmut Appel vom Fraunhofer IAO-Institut in Stuttgart sagt: „In manchen Unternehmen wird das Budget für das IP-Management auf wenige Prozent des Forschungs- und Entwicklungseinsatzes begrenzt. Jedoch kommt dem IP-Management, einer angemessenen IP-Strategie des Unternehmens und ihrer Operationalisierung eine stark wachsende Bedeutung zu. Eine solide IP-Strategie wird zum zunehmenden Erfolgsfaktor im enger werdenden Wettbewerb.“ 

Markenschutz oder Patent?

Wer ein Unternehmen gründet oder ein neues Produkt erfindet, sucht einen Namen dafür. Der gibt Identität, Schutz vor Fälschern und darf nicht von anderen genutzt werden. Dabei gilt es, die Begriffe „Marke“ und „Patent“ zu unterscheiden. Name oder Logo sind Gegenstand des Markenschutzes, der sich aus dem Markenrecht ableitet. Angemeldet wird das Ganze, wenn’s um eine deutsche Marke geht, beim Deutschen Patent und Markenamt (DPMA). Soll der Name in der gesamten Europäischen Union geschützt sein, ist das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) zuständig. Grundsätzlich kann man ganz unterschiedliche Marken anmelden. Die wichtigsten sind Wortmarken (beispielsweise Firmennamen), Bildmarken (Firmenlogo ohne Schriftbestandteile) oder Kombinationen daraus. Ein Patent hingegen gilt für Erfindungen oder Verfahrensweisen. Es wird vom Patentamt erteilt.

Den Kundennutzen schützen

Ein Beispiel des schwedischen Elektrogeräte- Herstellers Vorwerk zeigt, welchen Erfolg eine ausgeklügelte IP-Strategie bringen kann. 2012 machten die Verantwortlichen sich Sorgen: Am Markt waren zu viele Nachahmerprodukte für ihr Allround-Kochgerät „Thermomix“ aufgetaucht. Ureigene Erfindungen, wie die Form der Klingen oder der Dampfeinsatz, wurden von der Konkurrenz kopiert. Dagegen konnte sich das Unternehmen nicht wehren, denn sie waren nicht durch Patente geschützt. Als Folge gingen die Verkaufszahlen deutlich zurück. Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil die Konkurrenz ihre Produkte sehr viel günstiger anbot. Bei Vorwerk entschloss man sich, das Produkt radikal zu überholen. 

Gleichzeitig war die Neuentwicklung in eine konsequente neue IP-Strategie eingebettet: Anstatt sich – wie bislang – technische Applikationen patentieren zu lassen, wurde der Kundennutzen das zentrale Element der Patent-Strategie. So kam es, dass weniger die technische Neuerung patentiert wurde, sondern vielmehr wurden alle wahrnehmbaren Eigenschaften geschützt, die sich auf Flexibilität, Zeitersparnis, Sicherheit und den garantierten Erfolg der Gerichte bezogen, die sich mit dem „Thermomix“ herstellen ließen. 

Das hat sich ausgezahlt: Im September 2014 kam das neue Modell „TM5“ auf den Markt. Inzwischen ist es zum Kultobjekt unter Hobbyköchen geworden. Es gibt sogar Zeitschriften mit Rezepten zum reinen „Thermomix“-Kochen. Bei Vorwerk gingen so viele Bestellungen ein, dass die Firma Schwierigkeiten hatte, ihnen nachzukommen. „Konkurrenzprodukte spielen in den Köpfen der Kunden keine Rolle mehr“, sagt Kai Schaeffner, Senior Vice President Marketing bei Vorwerk. 

Die Zahl der Patentanmeldungen gilt gemeinhin als Indikator für die Innovationskraft einer Industrie. Das IAO hat für das Land Baden-Württemberg das Verhalten von kleinen und mittleren Unternehmen beim gewerblichen Rechtsschutz untersucht. Es zeigte sich, dass das Land zu Recht als das der Tüftler gilt. Mit 137 Patentanmeldungen pro 100 000 Einwohner liegt Baden-Württemberg nach wie vor an der Spitze der Bundesländer. Zugleich nimmt die Anzahl an Patenten weltweit zu. Allein 2012 stieg die Zahl der Patentanträge um 9,2 Prozent. Zu verdanken ist das vor allem einem Land: Spitzenreiter war China mit einem Wachstum von 24 Prozent. 

Die Krux: Da Patente sehr früh angemeldet werden müssen – meist mehrere Jahre, bevor das geschützte Produkt auf den Markt kommt und damit Geld verdient wird –, muss das Unternehmen den Patentschutz vorfinanzieren. Eine Patentierung ist daher eine Hochrisiko- Investition in die Zukunft. Zu diesem Kostenrisiko kommen weitere Risiken hinzu, vor allem das Erteilungsrisiko, da durchschnittlich nur etwa 40 Anmeldungen auch tatsächlich zu einem erteilten Patent und damit zu einem Alleinstellungsmerkmal führen, das als Wettbewerbsvorteil genutzt werden kann. 

„Das Pferd nicht von hinten aufzäumen“

Mittelständler gehen oft sorglos mit ihren Erfindungen um oder scheuen den Schutz mit Blick auf die Kosten. Ist das falsch? Alexander Wurzer: Die Frage impliziert, dass ich über geistiges Eigentum erst nachdenken sollte, nachdem ich etwas erfunden habe. Idealerweise tue ich es vorher, wenn ich ein Geschäftsmodell entwickle. Ich überlege mir: Welchen Nutzen biete ich meinen Kunden, wie erbringe ich solche Leistungen, und zu welchem Preis? Anschließend weiß ich, welche Exklusivitätsposition erreichbar ist und wo ich Wettbewerbern ein vergleichbares Leistungsangebot untersagen kann. 

Nach der Erfindung ist es zu spät? Wenn der Ausgangspunkt erst die erfinderische Leistung ist, handele ich mir sehr viele unlösbare Fragen ein. Wenn ich ein Gebäude baue, frage ich mich auch nicht rückwirkend, wie ich es nutzen kann. Nur bei Patenten zäumt man das Pferd häufig von hinten auf. Hier herrscht der Geniekult des 19. Jahrhunderts vor, dass ein Erfinder über die grüne Wiese läuft und dann plötzlich einen „Heureka!“-Moment erlebt. Doch je gesättigter die Märkte sind und je ausgereifter die Technologie, umso weniger zielführend ist solches Denken. 

Was unterscheidet eine IP-Strategie vom reinen Patentschutz? Das Patentwesen schützt Erfindungen. Was wir als „IP-Management „ bezeichnen, ist das Optimieren von Innovationsrenditen. Das eigentliche Objekt ist nicht die Invention, sondern die Innovation – die erfolgreiche Umsetzung am Markt. Die Perspektive ist nicht der Schutz per se, sondern die Rendite, die ich aus dieser Innovation ziehe. Hat der Kunde die Wahl zwischen vergleichbaren Angeboten, muss er meine Leistung als einzigartig wahrnehmen. Dann ist er bereit, dafür zu zahlen. 

Haben Sie ein Beispiel dafür? Ein gutes Beispiel bietet die Firma Vorwerk mit dem „Thermomix“. Die Idee des Unternehmens war nie, ihre Küchenmaschine per se zu schützen. Man ging der Frage nach: Nach welcher Grundentscheidung kaufen die Leute? Wie kochen sie? Und die entscheidende Antwort beim „Thermomix“ ist die Gelinggarantie. Dazu muss ich das Gerät erleben, erst dann kann ich die Magie des Kochvorgangs verstehen. Das geht nicht beim Ansehen im Elektromarkt. Deshalb wird das Gerät auf Kochabenden vertrieben. Nur da habe ich dieses „Look and Feel“: das Kocherlebnis. Das war das zu patentierende Ziel. 

Soll jedes Unternehmen den Wettbewerb konsequent überwachen? Idealerweise muss es das. Keiner ist allein auf der Welt. Ich muss wissen, was die anderen tun, um besser zu sein. Es ist ja nichts dümmer, als etwas zu erfinden, was einem anderen bereits gelungen ist.

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