Schaffe, schaffe, Schlaraffenländle. Die grün-rote Landesregierung scheint mit den wirtschaftlichen Stärken Baden-Württembergs kräftig wuchern zu können. Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) reimte im Landtag bereits: „Wir sind die Besten im Südwesten.“ In Lobeshymnen über den Wirtschaftsstandort fallen regelmäßig Ausdrücke wie „Spitzenreiter“ und „Spitzenplatz“, die von beeindruckenden Zahlen ergänzt werden: In Baden-Württemberg haben mehr als 400 Weltmarktführer ihren Sitz – darunter viele familiengeführte mittelständische Unternehmen. Und die Firmenpleiten, so hat das Statistische Landesamt Baden-Württemberg errechnet, fielen hier 2014 geringer aus als in allen anderen Bundesländern. „Die Insolvenzzahlen zeigen, dass unsere Unternehmen nicht nur solide aufgestellt sind, sondern auch Krisenzeiten dank ihrer guten wirtschaftlichen Substanz sicher überstehen“, frohlockt Schmid. Mit 5,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hat Baden-Württemberg zudem die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Europa, der Durchschnitt liegt bei 2,8 Prozent. Nicht ohne Grund – hat Innovation im Ländle doch Tradition: Schließlich entwickelte Gottlieb Daimler hier das vierrädrige Auto mit Verbrennungsmotor; erfand ein Mitarbeiter von Robert Bosch hier die Zündkerze; entdeckte die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Vollhard hier das für die embryonale Entwicklung so wichtige Biomolekül, auch Spätzle-Protein genannt.

Bei so viel Erfolg in Vergangenheit und Gegenwart liegt es nahe, auch mal locker zu lassen. Doch gerade davor warnen derzeit Experten aus der Politik und Wirtschaft im Südwesten. Groß ist die Befürchtung, Baden-Württemberg könne seinem Image als Lande der Tüftler und Macher nicht mehr gerecht werden. Dabei sind die Mahnungen in einigen Feldern etwas lauter als in anderen. Zwar stammen 31,5 Prozent aller bundesweiten Patentanmeldungen von hier – die Landesregierung wirbt selbstbewusst mit dem Slogan als Innovationsland Nummer eins. Allerdings ging die „Patentschere“ zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) sowie Großunternehmen in den vergangenen Jahren mehr und mehr auseinander. In einer Studie für die IHK Region Stuttgart stellte das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) fest, dass vor allem die traditionell starke Automobilindustrie nachgelassen habe. Die Patentanmeldungen von KMUs seien hier mit einem Anteil von nur noch 1,4 Prozent der in der Metropolregion angemeldeten Patente „quasi zum Erliegen gekommen“.

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Die Entwicklung sollte sehr ernst genommen werden.

Die Autoren listen in der Studie von 2014 zahlreiche Handlungsfelder auf: So würden die KMUs der Metropolregion sich zu stark auf bestehende Geschäfte, Märkte und Technologien konzentrieren, kaum mit externen Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten und die Chance unterschätzen, mit Partnern in anderen Branchen zu kooperieren. Sie neigten dazu, die „Komfortzone“ der eingespielten Innovationsnetzwerke ungern zu verlassen. In der Folge, fürchten die Experten, könnten die Mittelständler in sogenannten Zukunfts- oder Hightech-Feldern wie neue Materialien, Optik oder der Medizintechnik den Anschluss verlieren. „Vor dem Hintergrund der zu erwartenden steigenden Bedeutung dieser Technologiefelder für die deutsche Industrie sollte diese Entwicklung sehr ernst genommen werden“, mahnen sie.

Ein Hemmnis für mehr Innovationen, Erweiterungen und Expansionen ist auch, dass viele KMUs in Baden-Württemberg derzeit nur verhalten investieren. In einer aktuellen Befragung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) unter den Firmenkundenberatern der Sparkassen teilten lediglich 15,4 Prozent von ihnen mit, 2014 mehr Mittel für Investitionen als im Vorjahr vergeben zu haben. Der Schnitt für Deutschland ist mit 15,7 Prozent ähnlich niedrig. „Der Investitionsstau bei den Unternehmen hat sich bislang nicht aufgelöst“, sagt DSGV-Präsident Georg Fahrenschon. „In den Betrieben herrscht nach wie vor erhebliche Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung.“

Dabei sind die Investitionsbedingungen für Unternehmen zurzeit eigentlich gut, besonders in Baden-Württemberg: 76,9 Prozent der befragten Firmenkundenberater teilten dort mit, dass sich die Eigenkapitalausstattung der Mittelständler gegenüber dem Vorjahr verbessert hat – nur in Rheinland-Pfalz ist der Wert mit 81 Prozent noch höher. Zudem, so ermittelte der Mittelstandsverband Bund der Selbstständigen Baden-Württemberg (BDS) in einer Umfrage unter Unternehmen, erhalten die KMUs derzeit sehr leicht Kredite bei den Hausbanken – in Baden-Württemberg am ehesten bei Volks- und Raiffeisenbanken. In enger Zusammenarbeit mit den Hausbanken helfen Bund, Land und Förderbanken – L-Bank, Bürgschaftsbank Baden-Württemberg sowie MBG Mittelständische Beteiligungsgesellschaft – dem Mittelstand flankierend dabei, jeweils passende Finanzierungsinstrumente zu wählen. Dazu zählen etwa zinsgünstige Darlehen, Bürgschaften und Beteiligungskapital.

So hat sich zum Beispiel das Meißenheimer Unternehmen Zürcher Bau, das im Gleis-, Ingenieur- und Tiefbau tätig ist, mit Hilfe einer stillen Beteiligung der MBG neu strukturiert. Ralf Zürcher, der die Geschäfte des mittelständischen Betriebs bereits in dritter Generation führt, schätzt vor allem den überschaubaren Aufwand, den diese Finanzierungsform über die MBG mit sich bringt. „Wir wussten von Anfang an, was die MBG fordert – das wurde uns klar und übersichtlich dargestellt“, erinnert sich der Diplomingenieur. Und Georg Schöll, der ein Finanzierungsangebot für eine transparente Dämmung in seiner Photovoltaik-Firma Galaxy Energy genutzt hat, meint: „Mit den richtigen Ansprechpartnern wird man hier mit wenig Bürokratie hilfreich und schnell unterstützt.“

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Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhöhen.

Untersuchungen zeigen aber auch Schwierigkeiten, die speziell schnell wachsende Unternehmen mit hohem externen Kapitalbedarf bei der Finanzierung durch Land und Banken erlebt haben. So entsprachen zum Beispiel die Angebote von Venture Capital (VC) nicht immer ihren Anforderungen. Finanz- und Wirtschaftsminister Schmid will nun eine Lücke bei der Finanzierung von Unternehmen schließen. Zusammen mit der MBG, der Sparkassenversicherung und der Württembergischen Versicherung stellt das Land bis zu 20 Millionen Euro in einem Wagniskapitalfonds für kleine Unternehmen bereit, die Spitzentechnik für einen Markt mit hohem Wachstumspotenzial entwickeln. Ihre Innovation muss anwendungsnah sein und sich nach Möglichkeit patentrechtlich oder urheberrechtlich schützen lassen

Die L-Bank hat ebenfalls gehandelt und ihr VC-Paket in Höhe von 50 Millionen auf 100 Millionen Euro verdoppelt. Damit könne die L-Bank den Wagniskapitalbedarf der stark wachsenden Technologiefirmen im Südwesten noch besser als bisher abdecke, sagt Manfred Schmitz-Kaiser, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der L-Bank. Die Bank will mit dem Angebot innovative Internet-, IT- und Technologieunternehmen stärken, die das Frühphasenstadium überwunden haben. „Im Idealfall sind sie eine konsequente Erneuerung des Industriestandorts Baden-Württemberg“, erklärt der promovierte Rechtswissenschaftler und Volkswirt.
Ein Beispiel aus der Lifesciences-Branche ist das Esslinger Unternehmen Cetics Healthcare Technologies, das auf dem diesjährigen Venture Capital-Pitch bei der L-Bank den ersten Preis gewann. Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft und die Finanzplatzorganisation Stuttgart Financial hatten den Wettbewerb zum vierten Mal veranstaltet, um Investoren aus ganz Deutschland auf innovationsstarke Unternehmen aus Baden-Württemberg aufmerksam zu machen. Die 2011 gegründete Firma hat ein Diagnoseverfahren mit Infrarotstrahlung entwickelt, das aus einem Tropfen Blut innerhalb weniger Minuten viele Blutwerte ermitteln kann. Der Vorteil aus Sicht von Cetics: So können Ärzte mit Hilfe eines kleinen Geräts etliche Diagnosen einfach in der Praxis stellen und sich teure Laboruntersuchungen sparen

Allgemein lehnen KMUs alternative Finanzierungsformen wie Private Equity jedoch meist ab, da sie bei rein privaten Investoren insbesondere den Renditedruck befürchten. „Den typischen Mittelständlern widersprechen diese starke Wachstumsorientierung und ein weiterer mitspracheberechtigter Partner eindeutig“, sagt Marianne Kulicke, Projektleiterin beim Fraunhofer ISI.

Nach einer Studie des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte bevorzugen die etablierten Unternehmen in Finanzierungsfragen Ersparnisse und klassische Kredite der Hausbanken. Und Förderkredite? „Angesichts rückläufiger Zinssätze bei privaten Kreditinstituten und der guten Ertragssituation der Unternehmen sind die Förderwirkungen zinsgünstiger Kredite schon seit Jahren nicht mehr so hoch“, sagt Kulicke. „Sie bieten aber einen schnelleren Zugang für Unternehmen, die den Aufwand der Antragstellung beim Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand des Bundes scheuen oder deren Innovationsaktivitäten nicht zu diesem Förderprogramm passen.“

Die L-Bank rechnet angesichts der wirtschaftlichen Prognosen für dieses Jahr damit, dass ihre Programme nur „moderat“ nachgefragt werden. Sie setzt nun auf geänderte und ergänzte Angebote wie den neuen Programmteil zur Ressourceneffizienzfinanzierung, den es seit Februar gibt. Dadurch sollen Investitionen in ressourcenschonenden Innovationen angestoßen werden erklärt Schmitz-Kaiser. „Wir wollen die Energieeffizienz im gewerblichen Bereich und so auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhöhen.“ Doch alles Wissen und alles Engagement hat Grenzen. Nachweislich beeinflussen globale Faktoren das Klima für Investitionen – und die lassen sich bekanntlich nicht steuern.

Drei Fragen an…

Prof. Dr. Manfred Schmitz-Kaiser, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der L-Bank

Der deutsche Mittelstand investiert derzeit eher verhalten. Welche Auswirkungen hat das auf den traditionell wirtschaftlich starken Südwesten?

Langfristig gefährdet es die ökonomische Substanz in der Region, wenn zu wenig investiert wird – Wachstumsinvestitionen sind für den Standort notwendig. Das verdeutlichen zum Beispiel Untersuchungen des Statistischen Landesamtes: Der Modernitätsgrad der Anlagegüter in der verhältnismäßig stark auf Produktion fokussierten Wirtschaft nimmt seit 1991 in Baden-Württemberg kontinuierlich ab. Eine solche stetige Abnahme ist ein Zeichen dafür, dass die Wertminderung des Vermögens durch Verschleiß und wirtschaftliches Veralten nicht durch entsprechend hohe Investitionen ausgeglichen wird. Ganz so dramatisch beurteilen wir die Lage allerdings nicht: Die Nachfrageentwicklung bei den Förderprogrammen zeigt, dass unsere Förderkredite weitestgehend zur Finanzierung von Investitionen eingesetzt werden.

Dennoch haben die Mittelständler die Programme der L-Bank zur Wachstumsfinanzierung und Energieeffizienzfinanzierung 2014 weniger stark nachgefragt als im Vorjahr. Was bedeutet der Rückgang für die L-Bank?

Für die L-Bank als Förderbank des Landes gilt unabhängig davon, ob wir steigende oder sinkende Neugeschäftszahlen haben: Wir müssen unser Angebot kritisch hinterfragen und prüfen, inwieweit es die Bedürfnisse der Unternehmen im Land abdeckt. Die Unternehmen müssen sich auf uns als Partner in der Mittelstandsfinanzierung auf lange Sicht verlassen können. Anpassungen in unserem Förderangebot waren daher schon immer gefordert und werden es weiterhin sein.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart fordert einen besseren Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen zu Innovationskrediten und weitere Angebote, die speziell auf deren Innovationsfinanzierung zugeschnitten sind. Was sagen Sie dazu?

Hier können wir den Kollegen der IHK nur zustimmen. Innovation sollte nicht nur ein technisches Nischenthema sein, etwas für unsere herausragenden Forschungseinrichtungen oder Großunternehmen. Innovation muss als Thema auch in die Breite getragen werden. Denn es geht nicht nur darum, durch Innovationsstreben neuartige Produkte oder Dienstleistungen zu schaffen. „In der Breite“ bedeutet vielmehr, in funktionierenden, starken Produktbranchen innovativ zu sein. Gerade diese Innovationen im Bestehenden sind für wirtschaftlich reife Regionen wichtig: Damit die Branchen, die heute die Stärke Baden-Württembergs ausmachen, weiterhin als zentrale Stützpfeiler unserer Wirtschaft erhalten bleiben. Trotz aller Sparzwänge hat sich die grün-rote Landesregierung aus diesem Grund das Thema Innovationsförderung auf die Fahne geschrieben.

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