Robert Franken hat auf diesem Feld als Vorstand namhafter Digital-Unternehmen jahrelang Erfahrungen gesammelt. Er glaubt, dass viele Unternehmen die Chancen der Digitalisierung noch nicht richtig begreifen – sie sehen darin eher eine Pflicht als ein Mittel zum Zweck. Erst wenn hier ein Umdenken stattfindet, so meint er, wird die Digitalisierung unseren Arbeitsalltag richtig umkrempeln und ihn vor allem flexibler machen. 

 

Herr Franken, welche Veränderungen bringt die Digitalisierung des Arbeitslebens insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
 

Robert Franken: Es wird theoretisch einfacher, Flexibilität zu leben. Einfacher, weil alle benötigten Informationen – etwa dank Home Office – zeit- und ortsunabhängig zur Verfügung stehen und somit die Belange von Unternehmen und Familien gleichermaßen berücksichtigt werden können. Theoretisch, weil es häufig noch an Akzeptanz und Willen fehlt – und zwar auf beiden Seiten. Erst wenn digitale Technologien auf ein verändertes Mindset aller Beteiligten treffen, kommen wir hier in größeren Schritten voran. Dazu gehört z. B. auch der mittelfristige Abschied von rein quantitativer Beurteilung von Arbeitsleistung. 

 

 

Wie wird sich das Gefüge im Büro dank der Digitalisierung in Zukunft ändern?

Es wird weniger voraussehbar zugehen, gleichzeitig übernimmt die/der einzelne Mitarbeiter/in erheblich mehr Verantwortung. Dazu ist die Fähigkeit vonnöten, mit unterschiedlichen Ausprägungen agiler Formen der Zusammenarbeit zurechtzukommen. Leadership muss sich auf wechselnde Hierarchien einstellen, Teams werden je nach Bedarf zusammengestellt und erhalten die Möglichkeit, in unterschiedlichen Kontexten zu arbeiten. Flexibilität wird nicht nur zu einer Anforderung an Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sondern zur Grundeinstellung. Digital ist ja nicht zuerst Technologie, sondern das Betriebssystem für neues Arbeiten. Und dezentrales, ergebnisorientiertes Arbeiten wird die neue Normalität sein. 

 

Halten Sie es für möglich, damit gegen die vorherrschende Präsenzkultur in deutschen Unternehmen anzukommen?

Es ist dann möglich, wenn wir uns alle auf Veränderungen einlassen, die durch Vertrauensarbeitszeit ausgelöst werden. Arbeitgeber müssen sich daran gewöhnen, dass sie es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern überlassen, wann und wo diese an ihren Projekten und Aufgaben arbeiten. Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine neue Art von Selbsteinschätzung. Transparenz und nicht zuletzt Disziplin auf Arbeitnehmer/innen-Seite. Mittelfristig sehe ich aber gar keinen anderen Weg, als die Präsenzkultur aufzugeben und durch neue Formen der Interaktion und Bindung zu ersetzen. 

 

Wo sehen Sie Potenziale, die von vielen Unternehmen noch gar nicht erkannt wurden?

Das größte Potenzial sehe ich in der Erkenntnis vieler Unternehmen, dass ihr Problem nicht vordringlich in fehlender Digitalisierung liegt. Hier werden viel zu oft Dinge miteinander verknüpft, die besser getrennt voneinander betrachtet werden sollten. Digital ist keine Lösungsschablone, sondern hält eine Reihe von Mitteln zum Zweck bereit. Dazu ist es jedoch unbedingt notwendig, dass Unternehmen ihre eigene DNA hinterfragen. Man muss gemeinsam auf das „Wie“ blicken, um das „Was“ mithilfe digitaler Tools, Konzepte und Technologien bewältigen zu können. Dabei ist es oft hilfreich, einen Schritt zurückzutreten und das große Ganze zu betrachten. Hierbei unterstütze ich mit meiner Arbeit. 

 

Welche Leadership-Mentalität oder welches unternehmerische Denken ist nötig, um mehr auf Gleichstellung und Diversität zu achten?

Seitens der Unternehmen braucht es Führungskräfte, die in der Lage sind, Kontrolle abzugeben und sich stattdessen als Partner ihrer Mitarbeiter/innen zu betrachten. Leadership im Kontext der Diversity bedeutet die Anerkennung einer Vielzahl unterschiedlicher Charaktere und Herangehensweisen, deren Potenzial sich in der Summe der Beiträge und der Komplementarität der Leistungen entfaltet. Dabei helfen ein Bewusstsein bestimmter Schubladen oder unconscious bias und eine große Neugier auf Heterogenität von Menschen, Themen und Kontexten. 

 

Sie sind sehr aktiv, publizieren viel und leisten Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit. Welche Kanäle nutzen Sie dafür neben Ihrem Blog?

Ich schreibe neben meinem Blog „Digitale Tanzformation“ auch auf Plattformen wie XING, Handelsblatt oder EDITION F. Darüber hinaus halte ich Vorträge und Keynotes, moderiere Veranstaltungen und bin in zahlreichen Netzwerken unterwegs. Mein jüngstes Projekt heißt „Male Feminists Europe“. Dort versuche ich, Männern einen intellektuellen Zugang zur feministischen Agenda zu verschaffen, und zwar bewusst auf europäischer Ebene – daher die Sprache: Englisch. Ich bin darüber hinaus als Coach und Mentor aktiv und unterstütze als Sparringspartner Menschen auf allen Karrierestufen. 

 

Sie waren unter anderem Geschäftsführer von Chefkoch.de und Vorstand von urbia.de. Gab es in dieser Zeit Projekte oder Strukturänderungen, die Sie bewirkt haben?

Es stellte sich bei urbia schnell heraus, dass Flexibilität auf beiden Seiten die beste Strategie ist. Die Mitarbeiter/innen aus einem Bereich hatten z. B. eine relativ große Freiheit, sich ihre Arbeitszeiten so zu gestalten, wie es ihre aktuelle Lebenssituation erforderte. Als Arbeitgeber und Chef war ich fein raus – musste ich mich doch nur dann um eine Lösung bemühen, wenn es zu Engpässen kam. Ich habe dabei auch gelernt, dass Loyalität keine Einbahnstraße ist, sich dann aber manifestiert, wenn alle Beteiligten ihr Bestes versuchen. Ich habe die Strukturen ohne große Ankündigung jeweils so zu beeinflussen versucht, dass ich mich als eine Art „Vorarbeiter“ ansah: Mein Job war es, dafür Sorge zu tragen, dass alle in ihren Bereichen einigermaßen ungestört arbeiten konnten. Das hat natürlich nicht immer alles reibungslos geklappt, führte mittelfristig aber zu einer sehr guten Vertrauensgrundlage. Überhaupt ist Vertrauen eine Grundvoraussetzung für Vereinbarkeit und flexibles Arbeiten. 

 

In Ihrer Funktion als Berater nehmen Sie Mitarbeitern die Scheu vor dem Strukturwandel, schreiben Sie auf Ihrer Homepage. Wie genau gehen Sie vor?

Ganz einfach: Ich spreche mit den Menschen. Und zwar möglichst mit allen oder wenigstens mit vielen. Ich will genau verstehen, welche Perspektive sie auf ihre Arbeit und ihr Unternehmen haben. Die Digitalisierung ist ja keine bloße Frage von Technologie und mit einem Knopf zum Einschalten versehen. Es geht darum, Ängste abzubauen und neugierig die Zukunft zu gestalten. Ich helfe dabei, das eigene Repertoire zu erweitern und in Einklang mit dem großen Ganzen agieren zu lernen. 

 

Herr Franken, vielen Dank für dieses Interview!