Wir haben mit einem gesprochen, der sich auskennt: Andreas Winheller ist Gründer und Senior Consultant von Verhandlungsperformance Consulting sowie Lehrbeauftragter für Verhandlungslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. Der zertifizierte Mediator und Verhandlungstrainer hilft einzelnen Verhandlern, Verhandlungsteams oder gleich ganzen Organisationen dabei, ihre Performance messbar zu optimieren.

Herr Winheller, kann man Verhandeln wirklich lernen oder muss man das „im Blut“ haben?

Professionelles Verhandeln ist ein Handwerk, das man lernen kann und muss. Studien zeigen: Niemand ist der geborene Verhandler und niemand lernt erfolgreiches Verhandeln einfach nur aus Praxiserfahrung. Die Meisterschaft im Verhandeln ist nur zu erreichen, indem man das Handwerkszeug bei Leuten lernt, die es beherrschen, und es dann intensiv einübt.

Und wie im Handwerk gilt auch beim Verhandeln: Nicht jeder Meister hat das gleiche Niveau. Manche sind einfach nur gut, andere erweisen sich als echte Genies und finden auch in schwierigsten Ausgangssituationen noch exzellente Lösungen. Ob man das Talent zum Verhandlungsgenie hat, ist tatsächlich Glückssache – aber es gibt keine Entschuldigung, nicht wenigstens ein Verhandlungsmeister zu werden.

Was bedeutet für Sie „professionell verhandeln“?

Professionalität bedeutet, alles dafür zu tun, die bestmögliche Verhandlungsperformance zu erreichen. Dazu gehören eine gründliche Vorbereitung, die Erarbeitung effektiver Techniken und die kontinuierliche Arbeit an der eigenen Verhandlerpersönlichkeit.

In Deutschland ist das Verhandeln – und das entsprechende Training – noch sehr stark von Glaubenskämpfen geprägt. Verschiedene „große Namen“ kämpfen mit Marketing und Autorität darum, dass ihren Ratschlägen gefolgt wird. Doch Glaubenskriege führen nicht weiter. Seit der Aufklärung haben wir uns eigentlich darauf geeinigt, dass man keine Glaubenskriege führt über Fragen, die man wissen kann.

Und die internationale Verhandlungswissenschaft hat längst detailliert erforscht, welche Strategien und Techniken zu guten Ergebnissen führen. In den angelsächsischen Ländern sind die Win-Win-Glaubenskriege längst beendet, bei uns nicht. Deshalb hängen wir in Deutschland in unserer Verhandlungskompetenz auch 20 Jahre hinter anderen Ländern zurück.
 

 

Was sind die wichtigsten Regeln, die man Ihrer Meinung nach bei einer Verhandlung berücksichtigen sollte?

Leben Sie den Verhandlungsperformance-Circle. Es beginnt mit einer professionellen Vorbereitung, laut empirischen Studien der Erfolgsfaktor Nummer eins in jeder Verhandlung. Das ist den meisten Praktikern auch bewusst – trotzdem stellen wir bei unseren Trainings und Coachings immer wieder fest, dass die Vorbereitungen zu kurz und zu eindimensional sind. Profis beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit Strategie, Amateure dagegen viel zu sehr mit Taktik und Sachargumenten.

In der Verhandlung ist es dann wichtig, ein Verhalten zu zeigen, dass große Hartnäckigkeit in der Sache mit einer respektvollen und wertschätzenden Gestaltung der Verhandlungsbeziehung verbindet. Amateure sind meistens entweder hart in der Sache und schroff zum Menschen – oder zu wertschätzend und gleichzeitig zu nachgiebig. Beides führt erwiesenermaßen nicht zu guten Ergebnissen.

Nach der Verhandlung schließt dann eine systematische Nachbereitung (Lessons Learned) den Performance-Circle ab. Viel zu oft unterbleibt diese Nachbereitung. Dann machen Verhandler immer wieder dieselben Fehler. Ich habe regelmäßig Vertriebler in meinem Training, die auch nach Jahren der Berufspraxis noch nicht wissen, wie sie reagieren sollen, wenn der Einkäufer sagt: „Ich habe auch andere Angebote vorliegen.“

Das sollte man sich und dem eigenen Unternehmen nicht antun. Fehler in Verhandlungen sind unvermeidbar. Die Wiederholung teurer Fehler ist es dagegen schon – und deshalb verantwortungslos.
 

Quotation mark

„95 Prozent der Verhandlungspraktiker schöpfen in Performance-Studien das geschäftliche Potenzial bei weitem nicht aus.“

Andreas Winheller

Was sind die häufigsten Fehler in Verhandlungen?

Aufgrund mangelhafter Technik wird eine Menge Wertschöpfungspotenzial verbrannt. In einer Performance-Studie der Universität Hohenheim mit Verhandlungspraktikern der deutschen Industrie wurden in einer simulierten B2B-Verhandlung im Schnitt etwa 40 Prozent des Geschäftspotenzials durch schlechtes Verhandeln und teure Vertragsgestaltung vernichtet.

Viel zu oft werden teure Vertragsklauseln wie zum Beispiel „Lieferung frei Haus“ vereinbart, obwohl die eigenen Logistikkosten geringer wären. Hier ist es wirtschaftlicher, die Logistik selbst zu übernehmen und sich das durch Preisnachlässe überkompensieren zu lassen. Das ist echte Wertschöpfung. 

In einer anderen Studie fand etwa ein Drittel aller Verhandler keine Einigung, obwohl es eine kleine Marge für beide Seiten gab, eine lohnende Einigung also möglich gewesen wäre. Außerdem werden regelmäßig Präzedenzwirkung und Neben- und Folgewirkungen zu wenig beachtet beziehungsweise Ergebnisse verhandelt, die dann in der Implementierung nicht funktionieren.

95 Prozent der Verhandlungspraktiker schöpfen in Performance-Studien das geschäftliche Potenzial bei weitem nicht aus. Deshalb sagen wir auch immer, dass sich unsere Verhandlungstrainings noch im selben Geschäftsjahr refinanzieren – selbst, wenn wir das Training erst im Herbst durchführen …

Gutes Stichwort: Welches Training bieten Sie an? Wie kann man sich so ein Verhandlungstraining vorstellen?

Unsere Verhandlungsausbildung „Certificate of Excellence in Business Negotiations“ (CEBN) besteht aus drei Modulen. Wir arbeiten dabei mit der Original-Trainingsmethodik der beiden international führenden Verhandlungsinstitute Harvard-Verhandlungsprogramm (PON) und der Kellogg School of Management (DRRC) und kombinieren diese mit modernsten neurowissenschaftlichen und verhaltensökonomischen Erkenntnissen.

In realitätsnahen Simulationen geben wir unseren Teilnehmern die Chance, eine objektive Rückmeldung zur eigenen Verhandlungsperformance zu bekommen. Auf Wunsch können wir ein Benchmarking der eigenen Performance zu anderen Verhandlungspraktikern der deutschen Industrie anbieten – aufgrund unserer langjährigen Erfahrung haben wir hier repräsentative Verhandlungsperformance-Benchmarking-Daten von weit über tausend Praktikern.

Dann arbeiten wir mit den Teilnehmern daran, für sich individuell die Optimierungsbereiche zu entdecken und wirksame Lösungen zu finden. Verhandlungsverhalten muss maßgeschneidert zur eigenen Persönlichkeit passen. Wer glaubt, er könne einem Praktiker ein idealtypisches „Verhandlungsmodell“ einimpfen, wird keine nachhaltige Trainingswirkung erzielen. Wir erzielen im Weiterbildungscontrolling unserer Kunden regelmäßig Einsernoten. Und zwar insbesondere dann, wenn einige Wochen nach dem Training Nacherhebungen stattfinden.

In meiner Verhandlungsperformance Academy bieten wir alle Module unserer Ausbildung als offene Seminare an – mit Geld-zurück-Garantie bei Nichtgefallen. Diese Garantie wurde übrigens noch nie genutzt. Darauf sind wir stolz.

Die Inhalte meines Grundseminars habe ich zusammen mit meinem Kollegen Siegfried Rosner in dem Buch „Gelingende Kommunikation“ niedergeschrieben. Da kann sich jeder mit wenig Aufwand informieren, ob ihn dieser Ansatz überzeugt.

Was sind das für Unternehmen, die Ihre Dienste in Anspruch nehmen?

Unser Kundenportfolio ist vielfältig: Wir arbeiten schon lange für verschiedenste DAX- und MDAX-Konzerne, aber in letzter Zeit immer öfter für inhabergeführte Mittelständler und Freiberufler. Gerade die sprichwörtlichen „Hidden Champions im Schwabenländle“ suchen zunehmend Lösungen, wie sie Verhandlungen ökonomisch optimieren können, ohne ihre strategischen Beziehungsinteressen und ihre Werte zu verletzen.
 

Gibt es so etwas wie nationale Standards für Verhandlungen?  

Leider nein. Der Glaubenskrieg zwischen der „Win-Win-Religion“ und den „Verhandlungsboxkämpfern“, die Win-Win für Sozialromantik halten, lähmt nach wie vor die Professionalisierung. Und das führt dazu, dass nach wie vor sehr viele Trainingsangebote auf dem deutschen Markt nicht dem internationalen Standard entsprechen. Und: Die Mehrzahl der Verhandlungskurse an den deutschen Hochschulen taugt meines Erachtens nichts. Das finde ich richtig ärgerlich: Denn so verlängern wir die Performanceprobleme in die Zukunft unserer Volkswirtschaft.

Was gilt es zu auf internationalem Parkett beachten? Chinesen verhandeln doch anders als Europäer oder Südamerikaner.

Erstens: Lesen Sie das internationale Standardwerk zu diesem Thema, „Negotiating Globally“ von meiner Lehrerin Professor Jeanne Brett von der Kellogg School of Management. Ein unglaublich wichtiges und hilfreiches Buch!

Zweitens: Vermeiden Sie Stereotypen. Oft wird interkulturelles Verhandeln so verstanden, dass „wir Deutschen“ mit „den Chinesen“ verhandeln. Doch wer genau sind „die Deutschen“? Da steckt doch schon der Denkfehler. Wenn ein Jurist aus der Hansestadt Hamburg mit einem katholischen Maschinenbauingenieur aus Oberbayern konferiert, dann ist das interkulturelles Verhandeln vom Feinsten. Es geht also immer darum, die individuellen Bedürfnisse meines Verhandlungspartners im Blick zu haben und insbesondere seine menschlichen beziehungsweise emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen.

Sie sind ja auch zertifizierter Mediator. Kommt es manchmal vor, dass Sie als Mediator oder Konfliktcoach zu einer festgefahrenen Verhandlung hinzugezogen werden?

Ja, das kommt vor. Wir werden gern als parteiliche Berater einer Seite hinzugezogen, wenn Verhandlungen ins Stocken geraten. Insbesondere, wenn es um politisierte Kulturen geht, wie zum Beispiel bei Tarifverhandlungen und Betriebsvereinbarungen. Denn mein Team ist insoweit besonders, als wir sowohl Unternehmen (Management) als auch Arbeitnehmer (Gewerkschaften und Betriebsräte) beraten. Wir kennen also beide Seiten und wissen deshalb, wie die Gegenseite „tickt“. Multiperspektivität und eigene Erfahrung sind die entscheidenden Kompetenzen für Verhandlungsconsultants.

Eine Frage zum Schluss: Was ist zu tun, wenn es in einer Verhandlung weder vor- noch zurückgeht?

Eine Pause einlegen. Ein Durchbruch lässt sich nicht erzwingen. Diese Pause kann jeder nutzen, um „auf die Tribüne zu gehen“, sprich aus der Vogelperspektive den Verhandlungsstand zu reflektieren. Mitten im Getümmel auf dem Fußballplatz sieht man nämlich oft den freien Mitspieler nicht, dem man mit dem „tödlichen Pass“ bedienen könnte. Die Zuschauer auf der Tribüne, also aus einer distanzierteren Perspektive, erkennen das dagegen sofort.

Vielen Dank für das Interview!