Wie das Coronavirus die Supply Chain stört
 

Die globale Ausbreitung des Coronavirus wirkt sich massiv auf die Lieferketten von Unternehmen aus. Moderne Supply Chains weisen eine hohe Komplexität, Breite und Globalität auf, da sich viele Unternehmen auf zahlreiche Zulieferer verlassen. Das Geflecht aus Sub-Lieferanten und deren Zulieferern ist für einige Unternehmen nur noch schwer zu überblicken. Die Folge: Lieferungen bleiben in der Krise aus und beeinträchtigen die Produktion. Die betroffenen Firmen müssen ihre Umsatzerwartungen anpassen.

Das Virus hat bei vielen Unternehmen zu der Erkenntnis geführt, dass es erforderlich ist, im Notfall Lieferketten binnen kurzer Zeit komplett neu aufstellen zu können. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Denn Lieferketten für Güter lassen sich nicht innerhalb weniger Monate umbauen. Produktion und Logistik sind so optimiert und die Unternehmen so verzahnt, dass ein Umbau viel Zeit und Kosten in Anspruch nehmen würde.

Eine Umfrage der Beratungsgesellschaft EY unter 145 deutschen Unternehmen aus dem März 2020 hat ergeben, dass ein gutes Drittel als Konsequenz aus der Corona-Pandemie die Zulieferer austauschen sowie ihre digitale Transformation verstärken will. Noch mehr Befragte (47 Prozent) gaben an, die Automatisierung in ihren Betrieben deutlich beschleunigen zu wollen.

Erfolgsbeispiel: So hat B2B-Versandhändler Kaiser + Kraft auf die Krise reagiert
 

Das auf das B2B-Segment spezialisierte Unternehmen Kaiser + Kraft Europa GmbH, ein weltweiter Versandhändler für Betriebs-, Lager- und Büroausstattung, wurde in Teilbereichen seines Angebots von der Corona-Pandemie hart getroffen. Das Virus hatte spürbar negative Auswirkungen auf die Lieferketten, den Betrieb und die Kundennachfrage des Versandhandels. Doch die Verantwortlichen haben innerhalb weniger Wochen umfangreiche Maßnahmen ergriffen und sich auf diese Weise erfolgreich an die neuen Voraussetzungen angepasst.

Rolf Schiffel, Managing Director Logistics von Kaiser + Kraft, gibt einen detaillierten Einblick, in welchen Bereichen und welcher Ausprägung sich die Corona-Pandemie bisher auf das Unternehmen ausgewirkt hat und wie die Entscheider reagiert haben.

Konkrete Auswirkungen der Pandemie auf den Geschäftsbetrieb
 

„Wir hatten und haben immer noch Umsatzrückgänge zu beklagen, die aber von Land zu Land sehr unterschiedlich ausfallen. In südlichen Regionen wie Spanien und Italien teilweise mehr als 50 Prozent. Dazu hat sich der Auftragseingang weg vom klassischen Bestellvorgang hin zum E-Commerce verschoben, eine Steigerung von mehr als 25 Prozent.

Auch werden nun andere Produkte angefragt als vor der Krise: Die Nachfrage nach klassischen Artikeln wie Transportgeräten ist zurückgegangen, dafür haben wir einige Hundert neue Corona-spezifische Erzeugnisse im Angebot, wie Mund- und Gesichtsschutz oder Ausrüstungsgegenstände fürs Homeoffice. Diese machen mittlerweile einen Großteil des Umsatzes aus. Unter dem Strich bleibt ein Verlust, der aber zu verkraften ist.

Allerdings gehen wir auf diese Weise ein Risiko ein, denn zum einen ist der Bedarf nach solch speziellen Artikeln temporär, zum anderen haben wir damit keinerlei Erfahrungen, was die Nachfrage angeht. Aber jedes Risiko birgt natürlich auch eine Chance, da sich die Nachfrage sicherlich auch über die akute Corona-Zeit hinaus auf einem gewissen Niveau einpendeln wird.“

Auswirkungen der Pandemie auf die Lieferkette
 

„Lieferanten hatten teilweise signifikante Verspätungen. Vor allem der grenzüberschreitende Verkehr war gerade zu Beginn der Pandemie stark beeinträchtigt. Dazu hatten die Regierungen einiger Länder wie Spanien und Italien untersagt, Kunden wie uns überhaupt zu beliefern. Das hat zu einer zweiwöchigen Aussetzung der Lieferungen geführt. Auch Vorlieferanten unserer Fertigung hatten Probleme, sodass wir uns mit alternativen Produkten anderer Supplier eindecken mussten.

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„Lieferanten hatten teilweise signifikante Verspätungen. [...] Dazu hatten die Regierungen einiger Länder wie Spanien und Italien untersagt, Kunden wie uns überhaupt zu beliefern“

Rolf Schiffel, Managing Director Logistics von Kaiser + Kraft

Generell verlängerten sich die Lieferzeiten auch dadurch, dass Kunden teilweise mehrfach angefahren werden mussten. Viele dieser Probleme sind noch nicht ausgestanden, die Situation hat sich allerdings schon verbessert. Die ersten beiden März-Wochen waren am kritischsten.“

Eingeleitete Maßnahmen aufgrund der entstandenen Probleme
 

„Wir haben zunächst einen Corona-Krisenstab gebildet und erste Hygiene-Maßnahmen umgesetzt, um das Ansteckungsrisiko der Mitarbeiter zu minimieren. Wo es möglich war, wurde im Homeoffice gearbeitet. Im Produktionsbetrieb haben wir die Bestände hochgefahren, um einen mehrwöchigen Lockdown vermeiden zu können. In den Lagern wurden Trennwände errichtet, damit international agierende Mitarbeiter wie Fahrer von anderen lokalen Mitarbeitern separiert werden können. Zudem haben wir den Schichtbetrieb umorganisiert, um die physischen Begegnungspunkte zwischen den Mitarbeitern zu begrenzen.

Was die Lieferketten angeht, haben wir Abfahrtfrequenzen an die unterschiedliche Umsatzentwicklung der verschiedenen Märkte angepasst und uns teilweise in anderen Ländern neue Lieferanten gesucht. Zudem haben wir Ende April die ersten Prototypen von Corona-bezogenen Artikeln in unserer eigenen Produktionsstätte fertiggestellt.“

Langfristiger Einfluss der Pandemie auf das Geschäftsmodell
 

„Das Risikomanagement wird generell eine höhere Bedeutung erlangen. Beim Thema Lieferketten stellt sich sicherlich die Frage, ob die Single-Sourcing-Strategie bei einem Teil des Sortiments auf Dauer die richtige sein wird oder wir verstärkt auf Dual-Sourcing umschwenken müssen. Auch die Segmentierung von Kunden und Märkten muss hinterfragt werden: Bisher sind wir sehr industrielastig, eine noch breitere Aufstellung in Richtung Service, Gesundheitswesen und Business-to-Government wäre denkbar.“

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„Das Risikomanagement wird generell eine höhere Bedeutung erlangen. Beim Thema Lieferketten stellt sich sicherlich die Frage, ob die Single-Sourcing-Strategie bei einem Teil des Sortiments auf Dauer die richtige sein wird.“

Einfluss der Corona-Krise auf die Digitalisierung im Unternehmen
 

„Die ohnehin in der Strategie verankerte Digitalisierung wurde in Bereichen, wo sie bis zur Corona-Krise noch nicht durchgängig Einzug gehalten hatte, gewissermaßen in wenigen Wochen erzwungen. Wir trauen uns in dieser Hinsicht mittlerweile wesentlich mehr zu als vor der Krise. Kollaborations-Tools sind nun fest im Unternehmen etabliert, in unseren Regelprozessen sind wir viel digitaler aufgestellt. Durch digitale Informationsplattformen haben wir zudem für unser Lieferantennetzwerk Transparenz geschaffen. Auch Postsendungen, Rechnungen und andere Schriftstücke, die physisch im Unternehmen ankommen, werden seit der Corona-Krise digital verteilt.“