Lieferkettengesetz: Bundesregierung unterstützt schärferes Lieferkettengesetz der EU-Kommission

Nach langen Abwägungen hat sich die Ampelkoalition im September 2022 darauf verständigt, das Lieferkettengesetz an die strengeren Richtlinien der EU-Kommission anzupassen. Im Unterschied zum deutschen Lieferkettengesetz, das in der Zeit der Vorgängerregierung erarbeitet wurde und Anfang 2023 in Kraft tritt, impliziert der Entwurf der EU-Kommission unter anderem auch ein Klagerecht von Betroffenen gegen Firmen, sollten deren Lieferketten Schäden an Menschen oder Umwelt verursachen.

Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden könnten auf dieser Basis also zukünftig Schadensersatzforderungen vor europäischen Gerichten geltend machen. Nach den ersten Formulierungen soll Fahrlässigkeit dafür ausreichen – allerdings erscheint es aus Sicht einiger Länder fraglich, ob der Entwurf in dieser Schärfe durchsetzbar ist.

Deutschland drängt offenbar bereits darauf, gewisse Einschränkungen vorzunehmen. Denn hiesige Unternehmerverbände äußern teilweise deutliche Kritik. Sollten Produkte oder Produktionsprozesse einmal als bedenkenlos zertifiziert worden sein, dürften die Unternehmen nur noch im Falle grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz für Verletzungen haften, argumentieren sie. Diese Abschwächung ist auch als „Safe-Harbour-Regelung“ bekannt.

Zusätzlich wurde in dem EU-Vorschlag ein Umweltaspekt verankert: Größere Unternehmen müssen Strategien vorlegen, wie sie ihr Business in Einklang mit dem 1,5-Grad-Klimaziel bringen. Der Entwurf zum EU-Lieferkettengesetz soll noch vor der Europawahl im Frühjahr 2024 verabschiedet werden. Alle EU-Staaten sollen die Direktive dann innerhalb von maximal zwei Jahren in nationales Recht umsetzen.
 

Zunächst nur rund 700 deutsche Unternehmen betroffen

Das deutsche Lieferkettengesetz wird ab den 01.01.2023 zunächst nur rund 700 deutsche Großunternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitern betreffen, die Produkte oder Materialien aus dem Ausland beschaffen. 2024 müssten sich dann auch Betriebe ab einer Belegschaft von 1.000 Mitarbeitern an die Regelungen halten; das sind immerhin schon knapp 3.000 Unternehmen. Nach den Inhalten des EU-Vorschlags müssten sich Unternehmen bereits ab 500 Mitarbeitern nach den Regelungen richten.

Sollten die betroffenen Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, drohen Bußgelder. Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Gewerkschaften künftig ermächtigt werden, Leidtragende vor Gericht zu vertreten, wenn Missstände in den Lieferketten auftreten. Zivilrechtlich haften müssen Unternehmen nach dem deutschen Gesetz jedoch nicht.
 

Initiative Lieferkettengesetz: Das steckt dahinter

Die Idee des Lieferkettengesetzes gründet auf einer Initiative von 18 zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu denen unter anderem „Brot für die Welt" und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gehören. Sie wollen damit die Achtung der Menschenrechte und den Schutz der Umwelt fördern – und zwar über die gesamte Supply-Chain hinweg, also auch im Ausland.

Freiwillig kämen die Unternehmen ihrer Verantwortung nicht ausreichend nach, erklären die Initiatoren des Lieferkettengesetzes. Zu diesem Schluss kommt auch eine die Untersuchung „Corporate Human Rights Benchmark". Demnach belegten zuletzt nur zwei der 20 größten deutschen Konzerne, wie sie mit Menschenrechtsrisiken umgehen.
 

Lieferkettengesetz: Fürsprecher und Kritiker

Die Initiative Lieferkettengesetz sprach von einem „überfälligen Schritt in die richtige Richtung“. Ein Malus sei jedoch, dass das Gesetz zunächst nur für wenige Unternehmen gelte. Neben einer Reihe von anderen Fürsprechern, darunter große deutsche Unternehmen wie Tchibo oder Ritter Sport, gibt es auch Kritik an dieser rechtlichen Regelung. Vor allem Wirtschaftslobbyisten befürchten Einbußen bei der Wettbewerbsfähigkeit. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) belaste das Lieferkettengesetz in der vorgesehenen Form die „Falschen". Stattdessen sollte das Fehlverhalten ausländischer Unternehmen direkt geahndet werden.
 

Konsequenzen für die Wirtschaft und den Einkauf

Möglich wäre, dass sich die Zulieferer im Ausland für die Einhaltung von Standards zertifizieren lassen müssen – was einen hohen bürokratischen und finanziellen Aufwand bedeuten könnte. Vor allem für Konzerne, die für die Beschaffung aller Einzelteile oft mit mehreren 10.000 Zulieferern aus verschiedenen Ländern kooperieren. Zudem unterscheidet sich die Verfügbarkeit und Reichweite dieser Standards zwischen Branchen und Produktbereichen erheblich.

Auf der anderen Seite kann das Lieferkettengesetz zu einer Gleichstellung im Wettbewerb führen: Bereits heute verantwortungsbewusst handelnde und im Einkauf sowie der Supply Chain nachhaltig gut aufgestellte Unternehmen würden profitieren. Denn eine gesetzliche Verpflichtung würde ihren momentanen Wettbewerbsnachteil gegenüber weniger engagierten Wettbewerbern wesentlich verringern.

In jedem Fall könnte das Beachten von sozialen und ökologischen Standards zu höheren Preisen im Einkauf führen. Diese würden bei Verbrauchern aber zusehends akzeptiert: Denn lauter einer Befragung von 2.500 Konsumentinnen und Konsumenten Anfang des Jahres 2020 durch die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young sind mittlerweile mehr als zwei Drittel der Deutschen bereit, für nachhaltigeren Konsum auch mehr Geld auszugeben.

So halten es andere Länder mit einem Lieferkettengesetz

Frankreich hat bereits 2017 ein Lieferkettengesetz eingeführt. Dieses betrifft allerdings nur rund 120 Großunternehmen, die entweder mindestens 5.000 Mitarbeiter in Frankreich oder mehr als 10.000 Beschäftigte weltweit haben. Auch in den USA, Großbritannien und den Niederlanden regeln Gesetze die Einhaltung transparenter Lieferketten. In Norwegen, Finnland und Dänemark gibt es ähnliche Initiativen wie in Deutschland.