Fast jeder verbindet etwas mit dem Rheingau – den Rhein und Wein wahrscheinlich, vielleicht auch noch romantische Burgen und alte Klöster. Und all das macht ja auch den Rheingau aus. Wenige wissen jedoch, wo genau sich der Rheingau geografisch befindet, welche Burgen und Klöster es gibt oder welche Weinsorten dort angebaut werden. Mit anderen Worten: Der Rheingau, der sich zwischen Wiesbaden und Rüdesheim so lieblich an den großen Fluss schmiegt, ist bekannt – aber so richtig kennen ihn die wenigsten.

 Nur auf Platz 9 landet der Rheingau in einer Analyse, die zeigt, wie gut die verschiedenen Regionen Deutschlands bei den Themen Natur, Kultur und Wein abschneiden. Und das sogar in seiner „Kernkompetenz“, dem Wein – dabei stammen die edelsten deutschen Weine selbstverständlich aus dem Rheingau! Diese wenig erfreulichen Erkenntnisse hat das Beratungsbüro Entra ermittelt. Und nicht genug des Bashing: Als Urlaubsgebiet sei der Rheingau profillos, überregional zu wenig bekannt, zu wenig innovativ – und sogar die Rheingauer selbst identifizierten sich kaum mit der Region, hätten ein geringes Bewusstsein für die Bedeutung des Weinbaus und dessen Geschichte.

 Dabei hat der Rheingau hat viele Sehenswürdigkeiten zu bieten – auch landschaftlich. Warum also schneidet die Region in diesem Vergleich so schlecht ab? Und: Was tun die Rheingauer dagegen? 

Ein kleines Weinbaugebiet – aber mit hohem Renommee
 

Eines dürfe man bei alldem nicht vergessen, sagt Ernst Büscher, Sprecher des Deutschen Weininstituts in Bodenheim: Der Rheingau sei eine der kleinsten Weinregionen Deutschlands. Auf 3.200 Hektar wird dort Wein angebaut, das entspricht 3 Prozent der gesamten deutschen Rebfläche. „Und dafür haben die Rheingauer Weine immer noch ein sehr hohes Renommee“, sagt Büscher. Sie prägen bis heute das Image deutscher Weine im Ausland, und im Vergleich zu anderen Weinbaugebieten exportiere der Rheingau obendrein sehr viel. Von einem Imageproblem möchte Büscher deshalb nicht sprechen.

 Probleme gebe es aber schon im Rheingau, räumt der Wein-Fachmann ein. Eines der größten befinde sich auf der Rheinseite gegenüber: Rheinhessen. Die benachbarte Weinregion, die nicht in Hessen liegt, sondern verwirrenderweise in Rheinland-Pfalz, habe sich in Sachen Wein zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten entwickelt. „Das Schönste an Rheinhessen ist der Blick auf den Rheingau“, hätten die Rheingauer stets gern gesagt, erzählt Büscher. Er glaubt: „Vielleicht haben sie ihre Nasen allzu lange allzu hoch gehalten. In Rheinhessen hat sich viel getan.“ In der Region, achtmal so groß wie der Rheingau und das größte Weinanbaugebiet Deutschlands, gebe es eine große Dynamik, sagt Büscher. Die jungen Winzer hätten sich viel einfallen lassen, um das Image und die Qualität der rheinhessischen Weine zu verbessern – geschmacklich galten sie lange als nicht besonders gut. Aber auch Regionen wie die Pfalz hätten aufgeholt und seien nun stärker im Weinexport. 

Ein Klostersteig verbindet Sehenswürdigkeiten
 

Bei der zentralen Marketingstelle des Rheingaus, „Kulturland Rheingau“, will man ebenfalls nichts von einem Imageproblem hören. Maren Gutberlet, die Sprecherin, sagt: „Wir müssen das Image des Rheingaus nur stärker in Richtung Wein, Natur und Kultur schärfen.“ Dafür gebe es eine neue Marketingstrategie. Im vergangenen Jahr sei beispielsweise ein 30 Kilometer langer Klostersteig geschaffen worden, der zu sechs Klösternführe – bei einigen von ihnen wird noch Wein angebaut. Auch das für die Region berühmte Kloster Eberbach mit seinen hochwertigen Weinen solle besser vermarktet werden. Außerdem solle das „Wir“-Gefühl gestärkt werden. „Wir wollen eine regionale Identität schaffen und genauer herausarbeiten, was wir unter dem Rheingau verstehen“, sagt Gutberlet. Dazu solle es Markenbotschafter geben, einen Vinothekenführer und einen Führer für Weinfeste. 

Südtirol als Vorbild
 

Peter Seyffardt, der Präsident des Rheingauer Weinbauverbands, hatte kürzlich bemängelt, dass sogar den Rheingauer Winzern oft das Zugehörigkeitsgefühl fehle. Auf den Internetseiten vieler Weingüter fehle beispielsweise häufig der Hin- weis auf den Rheingau. Für die Winzer sei das wohl so selbstverständlich, dass sie es nicht mal mehr erwähnten. Seyffardt, der die Marketingkampagne initiiert hat, sagt: „In diesem Prozess mit möglichst breiter Beteiligung wollen wir die positiven Aspekte der Region herausarbeiten und eine Entwicklung in Gang setzen, um die Wertigkeit der Region dauerhaft zu erhöhen.“ Vorbild solle Südtirol sein, das als hochwertiges und beliebtes Reiseland gelte. Auch der Rheingau habe mit seinen Weinen, dem Rhein und den kulturellen Sehenswürdigkeiten viel zu bieten – und das Potenzial, ein beliebtes Reiseland zu werden. Das müsse nur noch stärker in die Köpfe der Menschen gelangen. 

Der Riesling …
 

… ist einem Bericht des Deutschen Weininstituts zufolge der wichtigste deutsche Wein für die hiesigen Winzer: 50 Prozent des weltweit verkauften Rieslings kommt aus Deutschland – im vergangenen Jahr wurde er auf 23.700 Hektar angebaut, ein Rekord. Ein Viertel davon stammt aus dem Rheingau, dessen Weine wegen der je nach Höhenlage unterschiedlichen Böden und die vielen Südlagen geschmacklich außergewöhnlich sind. Von der Größe der Anbaugebiete her liegt der Rheingau auf Platz 8 – der meiste Wein wird in Rheinhessen angebaut, darauf folgen Pfalz, Baden, Württemberg und Mosel.

3 Fragen an  Eberhard Flammer Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie und Handelskammern 

 

Herr Flammer, was sind die derzeit größten Herausforderungen für mittelständische Unternehmen in Hessen? Und nehmen die Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet dabei eine Sonderrolle ein?

Eberhard Flammer: Alle Unternehmen in Hessen stehen vor Herausforderungen, die in der allgemeinen und öffentlichen Diskussion mit folgenden Schlagworten benannt werden: Digitalisierung, Ausbildung und Qualifizierung, Infrastruktur sowie demografischer Wandel. Gerade die Digitalisierung bietet die große Chance, die Potenziale der ländlichen Regionen in Wertschöpfungsverbünden mit dem Rhein-Main-Gebiet einzubinden. Somit wird die Attraktivität des gesamten Bundeslands weiterentwickelt, ohne das Rhein-Main-Gebiet durch weitere Zuwanderung zum Nachteil der ländlichen Regionen zu belasten.

Worin liegt die Stärke des Standorts? 

Hessen zeichnet sich durch seine zentrale Lage mitten in Europa sowie durch seine vielfältigen und hervorragenden Möglichkeiten zur Qualifizierung aus: die duale Berufsausbildung in den Betrieben sowie die ausgezeichneten Hochschulen und Universitäten. Mit starken Aktivitäten zu Forschung und Entwicklung wird in diesem Bundesland jeden Tag aufs Neue an der Zukunftsfähigkeit des Standorts gearbeitet.

Wie sehr gefährdet der Fachkräftemangel hessische Unternehmen?

Der Fachkräftemangel ist schon heute eine Wachstumsbremse. In unserer aktuellen Konjunkturumfrage wird er als Risiko Nummer 1 benannt. Wir können dem begegnen, indem wir mehr Schulabsolventen in die duale Ausbildung bringen. Denn eine abgeschlossene Berufsausbildung bringt auch bei einem anschließenden Studium eine höhere Erfolgsquote. Um dies zu befördern, müssen andere Anreize für Universitäten und Hochschulen gesetzt werden: beispielsweise indem Studienerfolge vergütet werden und nicht die Anzahl der Studierenden.