Die Nachwuchsproblematik in Deutschland

Obwohl das Handwerk ein elementar wichtiger Bestandteil der Wirtschaftskraft in Deutschland ist, sehen sich Handwerksbetriebe nun schon seit mehreren Jahren mit einem massiven Problem konfrontiert: Sie finden nicht ausreichend qualifizierte Bewerber für die Ausbildung und Karriere in ihrer Branche. Noch Mitte der 1990er Jahre wurden im Handwerk mehr als 600.000 Auszubildende beschäftigt. 2012 waren es nur noch rund 400.000, 2014 schrumpfte die Zahl laut des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks auf 370.995. 2020 waren es nur noch 363.393, und 2022 wurde mit 349.295 Azubis im Handwerk ein neuer Tiefstand erreicht. In Bayern beispielsweise blieben 2022 rund 26 Prozent der Ausbildungsplätze unbesetzt. 

Hat das Handwerk ein Imageproblem?

Die oft geäußerte Meinung, das Handwerk habe ein Imageproblem, ist zu kurz gegriffen. Schon die Ergebnisse der bisher letzten Allensbacher Berufsprestige-Skala für das Jahr 2013 zeigen, dass der Beruf des Handwerkers zu den fünf angesehensten in der Bevölkerung zählt. 38 Prozent der Befragten gaben sogar an, Handwerker am meisten zu schätzen. Auch in aktuelleren Berufe-Rankings schneiden Handwerker in der Regel gut ab.

Dennoch feilt das Handwerk bereit seit 2010 mit einer bundesweiten Kampagne an seinem Image. Diese Aktion soll einerseits die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der „Wirtschaftsmacht von nebenan“ hervorheben, andererseits Jugendliche für eine handwerkliche Ausbildung begeistern. Die Jahreskampagne 2023 hinterfragt unter dem Motto „Handwerk neu denken“ gängige Klischees und will mit einem Augenzwinkern zum Umdenken anregen.

Flankiert werden diese Bemühungen von politischen Maßnahmen. So schüttet beispielsweise der Freistaat Bayern, wo das Handwerk etwa neun Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet, alljährlich einen zweistelligen Millionenbetrag für die Handwerksförderung aus. 2021 wurde dort das Handwerk mit Zuschüssen von rund 28,5 Millionen Euro aus regulären Landesmitteln und 9,5 Millionen Euro aus EU-Mitteln gefördert.

 


Herausforderungen durch demografischen Wandel

Mehr als ein vermeintlich schlechtes Image macht dem Handwerk nach Aussage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks der demografische Wandel zu schaffen. Es werde zusehends schwierig, den Bedarf an Auszubildenden und Fachkräften zu sichern, zudem zählten der Umgang mit alternden Belegschaften und die Anpassung an veränderte Nachfragestrukturen zu den Herausforderungen. Auch der Trend, dass leistungsstarke Schüler eher in Hochschulen und kaufmännische Berufe drängen, ebbt nicht ab. Neben der Akademisierung werden zudem vermeintlich schlechte Ausbildungsbedingungen oder schlechte Bezahlung oft als Gründe genannt, dem Handwerk den Rücken zu kehren.

Karrierechancen im Handwerk vermitteln

Berufsbildungstage an Gymnasien könnten nach Meinung des Zentralverbandes des Handwerks dazu beitragen, die Branche für Gymnasiasten interessanter zu machen. Auch Aktionen wie die YourPUSH-Kampagne der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main und der Goethe-Universität sollten den Fokus verstärkt auf das Handwerk legen. Diese Initiative richtete sich an Studierende, die an ihrem Studium zweifeln oder dieses bereits abgebrochen haben und einen neuen beruflichen Weg gehen wollen.

Denn neben sicheren Arbeitsplätzen bietet das Handwerk langfristig ausgezeichnete Karriereperspektiven. Die Wege vom Azubi zur Führungskraft sind oft kurz. Können Unternehmer keinen Nachfolger in der eigenen Familie finden, bietet sich für langjährige oder bewährte Mitarbeiter die Aussicht an, selbst Chef zu werden.

Zugleich sollte aber auch die Ausbildung im Handwerk an die Realität angepasst werden, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Das heißt: Die Inhalte sollten so gestaltet sein, dass auch lernschwächere Azubis diese erfolgreich abschließen können.

Kreativität im Handwerk ist gefragt

Im Kampf um den Nachwuchs sind auch die jeweiligen Branchenverbände und die einzelnen Betriebe gefordert. So hatte der Bundesverband Modell- und Formenbau von 2014 bis 2020 jährlich einen Azubiwettbewerb ausgeschrieben, bei dem die Erstplatzierten attraktive Geldpreise gewinnen konnten. Ähnliche Aktionen betreiben auch von andere Branchen.

Und organisiert vom Zentralverband des Deutschen Handwerks gibt es gleich zwei Wettbewerbe: Jedes Jahr konkurrieren zum einen Absolventinnen und Absolventen der Berufsausbildungen in 130 Gewerken um den Bundessieg bei der Deutschen Meisterschaft im Handwerk. Zum anderen gibt es den Kreativwettbewerb „Die gute Form im Handwerk – Handwerker gestalten“, bei dem die Teilnehmer mit außergewöhnlichen Designlösungen Ihre handwerkliche Experimentierfreude unter Beweis stellen.

Solche Maßnahmen bieten zwei Vorteile: Es wird mit relativ geringem Aufwand ein öffentliches Interesse für die jeweilige Branche geschaffen. Zum anderen können sich die Auszubildenden, je nach Branche, bis zu einem gewissen Grad selbst verwirklichen und erfahren hautnah, dass sich Leistung lohnt.

 


Von positiven Beispielen im Handwerk lernen

Oft sind es nur Kleinigkeiten, die darüber entscheiden, ob ein Betrieb ausreichend Nachwuchskräfte findet. Für erfolgreiche Ausbildungsbetriebe hat es sich beispielsweise bewährt, die Mitarbeiter aktiver in die Prozesse einzubinden und ihnen möglichst viele Entscheidungsspielräume zu lassen. Dazu gehört etwa die Gleitzeit statt fester Arbeitszeiten oder die Freistellung für Fortbildungen. Auch die Wahl, sich Überstunden vergüten zu lassen oder einen Freizeitausgleich zu erhalten, macht einen Arbeitgeber für junge Menschen attraktiv.

Dies muss natürlich auch kommuniziert werden, beispielsweise durch die Präsenz bei Ausbildungsmessen oder einen Tag der offenen Tür für Schulklassen. Die besten Erfahrungen haben laut Handwerksblatt jene Betriebe gemacht, die ihre Auszubildenden nicht nur als Arbeitskräfte sehen, sondern zu diesen auch ein menschlich-partnerschaftliches Verhältnis pflegen.

Fazit: Da die Zahl der Ausbildungsverträge im Handwerk seit Jahren kontinuierlich zurückgeht, erwarten junge Menschen wegen geringer Konkurrenz in diesem Wirtschaftsbereich glänzende Zukunftsaussichten. Mit Geschick und etwas Glück können die Azubis von heute sogar wenige Jahre nach der Ausbildung einen gut eingeführten Betrieb übernehmen.