Frau Kronenbürger, warum würden Sie jungen Menschen im Jahr 2022 dazu raten, sich für einen Logistikberuf zu entscheiden?
Weil Logistik nicht nur die drittgrößte Branche Deutschlands ist, sondern auch eine der spannendsten. Logistik verknüpft die Wertschöpfungsstufen der Industrie und des Handels, managt globale Lieferketten und versorgt die Bevölkerung mit sämtlichen Waren des täglichen Bedarfs. Gleichzeitig nimmt der Trend zum Outsourcing nicht ab – das Leistungsspektrum der Logistik wird demnach kontinuierlich erweitert um Distributions- und Beschaffungsaufgaben.
Außerdem ist Logistik ein facettenreicher Wachstumsmarkt, der vielfältige Arbeitsfelder und Karriereperspektiven – auch im internationalen Umfeld – für akademisch oder im dualen System ausgebildeten Nachwuchs im kaufmännischen oder im gewerblichen Bereich bietet. Logistiktalenten wird oft zügig Verantwortung übertragen, beispielsweise als Exportleiter Seefracht, Key-Account-Manager Luftfracht, Supply-Chain-Manager oder Prozessverantwortlicher Warehousing Fashion. Die Liste ließe sich endlos fortführen. Neben den klassischen Berufen Disponent, Berufskraftfahrer und Fachlageristen sucht unsere Branche auch zunehmend IT-Spezialisten.
In keiner Branche stieg das Stellenangebot von 2020 bis 2021 so stark an wie in der Logistik – sehen Sie weiterhin so großen Bedarf an Arbeitskräften?
Ja! Der Bedarf steigt kontinuierlich, denn auch in Krisenzeiten reißt die Nachfrage nach Verkehrsleistungen nicht ab. Gleichzeitig spürt auch die Logistik die negativen Folgen des demografischen Wandels. Dadurch klafft, wie in vielen anderen Branchen, eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage, die den so genannten War for Talents verschärft. Arbeitgeber der Logistik reagieren mit gehaltvollen Angeboten und einer kontinuierlichen Modernisierung des individuellen Arbeitsumfeldes.
Der E-Commerce ist nicht aufzuhalten: Wie beeinflusst dieses Feld die Karriereperspektiven in der Logistik?
Der E-Commerce ist durch das gestiegene Online-Bestellverhalten privater Haushalte vor allem in den Hochphasen der Corona-Krisen sprunghaft gewachsen. Das hat zu einer Ausweitung des deutlich prozessaufwendigeren B2C-Geschäfts nicht nur für KEP-Dienstleister, sondern auch für Speditionshäuser geführt. Durch die Digitalisierung von Absatzkanälen wurde das Produktportfolio vieler Logistiker um das Marktplatz- und Shopmanagement sowie Datenanalysen erweitert.
Dadurch haben sich die eigentlichen Kernaufgaben der Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleistung aber nicht grundlegend verändert. Relativ jung ist die Ausbildung zur/m Kauffrau/-mann E-Commerce, für die es neben der Logistik einen wachsenden Bedarf bei Unternehmen des Einzel-, Groß- oder Außenhandels oder Unternehmen mit Online-Direktvertrieb gibt. Spätestens an der Schnittstelle Versand kommt die Logistik wieder ins Spiel.
Digitalisierung, Nachfragerückgänge und Produktionsausfälle durch Corona, Handelsbeschränkungen, Lieferkettengesetz: Wird der Job von Logistikern zusehends anspruchsvoller?
Logistik ist eine Branche, die nicht nur Waren physisch von A nach B bewegt, sondern vor allem Lieferketten organisiert, digital steuert und überwacht und – wenn erforderlich – die Zollabfertigung für ihre Kunden übernimmt. Speditionen erarbeiten ständig Alternativen und lösen Probleme.
In sämtlichen Berufsbildern der Logistik haben deshalb belastungsresistente Organisations- und Improvisationstalente die besten Chancen. Wetterunwägbarkeiten, Verkehrsstaus, Produktionsausfälle und Streiks sind wenig vorhersehbare Phänomene, für die schnell ein Plan B oder C entstehen muss, damit Lieferketten nicht reißen und die Waren in der bestellten Qualität und Menge rechtzeitig am vorgegebenen Ort sind. International vernetzte und digitalisierte Speditionshäuser finden hier stets Lösungen.
Die Branche arbeitet hochprofessionell und grundsätzlich störungsresilient. Dennoch sind länger anhaltende Krisen wie die Covid-Pandemie oder aktuelle der Ukraine-Konflikt eine zunehmende Belastung für Unternehmen und Beschäftigte, die sich täglich auf Herausforderungen wie spontane Grenzschließung, Handelsbeschränkungen oder Embargos einstellen müssen. Mitarbeiter müssen kontinuierlich geschult und unterwiesen werden. Natürlich kann das vereinzelt an die Substanz gehen, ist derzeit aber auch kein Alleinstellungsmerkmal der Logistik.
Welche Rolle spielt der Klimawandel für die Logistik und die Berufswelt?
Der Logistiksektor bekennt sich zu seiner Verantwortung für den Klimaschutz und trimmt seine Prozesse mit zunehmend digitalen Anwendungen und unter Einsatz modernster Fahrzeug- und Immobilientechnologien kontinuierlich auf Öko-Effizienz. Dieser Grundsatz muss als Führungsaufgabe bei der Unternehmensleitung verankert sein, gelebt und in sämtliche Unternehmenshierarchien transportiert werden. Entscheidungen wie Verlagerungen großer Gütermengen auf die Schiene müssen natürlich am logistischen Bedarf der Kunden ausgerichtet werden, die aber immer noch von Kriterien wie Kosten und Servicequalität überlagert werden. Umweltschutz ist fester Bestandteil der Ausbildungsordnung der Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleistung.
Durch die aktuellen Trends wird die Logistik techniklastiger. Verschieben sich dadurch auch die Anforderungen an die neue Generation der Logistiker? Welche Eigenschaften sind künftig besonders wichtig?
Logistik wird nicht nur techniklastiger, die Technik selbst wird digitaler. Dies führt zu grundlegenden Veränderungen von Arbeitsprozessen und damit zu einem Wandel der Arbeitsaufgaben und Qualifikationen. Durch digitale Tools und abgestimmte Prozessketten können beispielsweise Order- und Volumenmengen bei gleichbleibendem Personalaufwand deutlich gesteigert, zum Teil aber auch automatisiert werden. Es ist deshalb von elementarer Bedeutung, die Möglichkeiten digitaler Technologien zu verstehen und für die jeweiligen Kundenanforderungen zu nutzen. Das bedeutet nicht, dass erlerntes Wissen über verkehrsträgerspezifische Marktverhältnisse oder individuelle Kundenbeziehungen nicht mehr gefragt wären. Der Erfolg der Spedition der Zukunft wird in der Verknüpfung der analogen und digitalen Welt liegen. Die digitalen Kompetenzen von Mitarbeitern müssen deshalb fortlaufend ausgebaut werden.
Welche neuen Jobbezeichnungen können in der Logistik künftig entstehen? Welche Jobs werden auf lange Sicht unbedeutend oder gar wegfallen?
Fakt ist, dass die Anforderungen an die IT-Kompetenz und die IT-Sicherheit in den Unternehmen der Speditions- und Logistikbranche steigen müssen. Repetitive körperliche und dispositive Tätigkeiten können von digitalisierten Prozessen substituiert werden. Die fortschreitende Digitalisierung in der Transport- und Logistikbranche wird in absehbarer Zeit aber weder Arbeitsplätze kosten noch einzelne Berufsgruppen überflüssig machen. Selbst das angestrebte autonome Fahren wird den Berufskraftfahrer nicht entbehrlich machen, denn nach heutigem Technikverständnis wird auch in modernsten Cockpits selbstfahrender Lkw ein technischer Supervisor sitzen müssen. Zum Vergleich: Selbst im geschlossenen System Schiene sind externe Steuerung und lokführerfreie Züge noch Vision.