Der demografische Wandel, die Bedürfnisse der Industrie und die wachsende Rolle von Frauen im Wirtschaftsleben führen künftig zu einer größeren Bedeutung weiblicher Beschäftigter. Wir haben mit Dr. Kristina Gerteiser und Diplom-Kaufmann Rainer Münch von der Strategieberatung Oliver Wyman über das Thema Diversität gesprochen. Beide waren mitverantwortlich für die Studie „Women in Procurement“, die Oliver Wyman 2017 in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf & Logistik (BME) durchführte.

Herr Münch, wo stehen Beschaffungs-/Einkaufsorganisationen heute in punkto Geschlechtervielfalt?

Münch: Der Frauenanteil liegt gemäß unserer Studie in Deutschland bei circa 37 Prozent. In unserer Studie haben wir auch weitere europäische Länder wie Frankreich und UK untersucht. Dort kommen wir im Schnitt auf 40 Prozent. Der Frauenanteil unter allen Beschäftigen in Deutschland liegt bei 45 Prozent. Allein beim Blick auf den Gesamtanteil besteht also bereits Handlungsbedarf. Erheblich problematischer ist jedoch der Blick auf den Frauenanteil in der Führungsebene. Hier fällt Deutschland deutlich unter die 20 Prozent, während sich die Quote in „Resteuropa“ um 30 Prozent bewegt.

Frau Dr. Gerteiser, wie haben sich die Beschäftigungszahlen in den vergangenen Jahren verändert?

Gerteiser: Mit 54 Prozent haben etwas mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen angegeben, dass sie den Frauenanteil in der Beschaffungsfunktion in den letzten drei Jahren erhöht haben, nur 12 Prozent melden eine Reduktion. Zumindest mit dem Blick auf die Gesamtquote sind die Unternehmen also auf einem guten Weg.

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„Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen gaben an, dass sie den Frauenanteil in der Beschaffungsfunktion in den letzten drei Jahren erhöht haben.“

Dr. Kristina Gerteiser , Partnerin bei Oliver Wyman

Warum sind Frauen aktuell im Einkauf (noch) so unterrepräsentiert?

Münch: Eine umfassende Antwort auf diese Frage würde den Rahmen unseres Gesprächs sprengen. Ich möchte nur eine einkaufsspezifische Facette herausgreifen: Das Anforderungsprofil an einen Einkäufer war lange Zeit geprägt von „harten“ Faktoren – wie ergebnisorientiert, analytisch, kompetitiv und verhandlungshart. Stereotype Vorstellungen besetzen diese Eigenschaften als „eher männlich“. Allmählich realisieren Unternehmen jedoch, dass hier gleich zwei Denkfehler gemacht werden. Denn zum einen sind „softe“ Faktoren für den Erfolg weit bedeutsamer als vermutet und zum anderen ist die Beherrschung der „harten“ Faktoren keine Frage des Geschlechts.

Welche Rolle spielt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Einkauf?

Gerteiser: Selbstverständlich ist auch dieses Thema eine der vielen Ursachen für den unterdurchschnittlichen Frauenanteil im Einkauf. Nach unserer Einschätzung betrifft dies die Einkaufsfunktion jedoch nicht stärker als andere Unternehmensbereiche.

Ihre Studie „Women in Procurement“ belegt, dass es in diversen Teams mit einer Frauenquote von 40 bis 50 Prozent mehr Einsparungen im Einkauf gibt als in Unternehmen mit einem geringeren Frauenanteil. Können Sie sich das erklären?

Münch: Wir stellen in der Studie fest, dass die Einsparungen bis zu einem Frauenanteil von 40 bis 50 Prozent kontinuierlich ansteigen. Bei Unternehmen mit einer Quote über 50 Prozent fallen die Einsparungen wieder geringer aus. Die Studienergebnisse belegen insgesamt damit eindrücklich den positiven Effekt von Diversity beziehungsweise gemischten Teams mit unterschiedlichen Fähigkeiten, auch ganz speziell im Einkauf.
 

Welche Tipps würden Sie weiblichen Führungskräften im Einkauf mit auf den Weg geben?

Münch: Unser Appell richtet sich zunächst einmal an alle Führungskräfte unabhängig vom Geschlecht: Mehr Diversität bringt nicht nur strategische Vorteile, sondern auch schlicht bessere Unternehmensergebnisse. In unserer Studie haben wir jedoch festgestellt, dass viele Unternehmen die Rahmenbedingungen noch erheblich verbessern müssen – das reicht von Mentorenprogrammen und Recruiting-Prozessen bis hin zur Messung und expliziten Anerkennung von Diversity-Anstrengungen.

Gerteiser: Frauen sollten sich selbstbewusst für ihre Karriere einsetzen und Studien wie diese als Bestärkung verstehen, dass sich der Einsatz für Diversität auszahlt. Je nach Hierarchiestufe sollten sich Frauen zudem aktiv Mentorinnen im Unternehmen suchen oder als solche zur Verfügung stehen.